Statement Michael Leinenbach

Was kann jungen Menschen nützen und damit auch am besten der Gesellschaft













Michael Leinenbach
Vorsitzender DBSH

In jeder Gesellschaft entstehen soziale Probleme, die von den Betroffenen aus eigener Kraft nicht
bewältigt werden können. Aus dem Verfassungsgebot der Würde des Menschen und der sozialen
Verpflichtung der Gesellschaft ergibt sich die Verpflichtung, Angebote zur Verhütung, Minderung
und Bewältigung von Problemen und Notständen zu machen. Dies ist umso wichtiger, wenn es
um die Entwicklung von jungen Menschen geht.
Immer wieder gibt es politische Debatten um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, meist
infolge medialer Darstellung von Einzelfällen, wie etwa im Fall Mehmet, einem zum Pseudonym
gewordenen Vorgang über einen jugendlichen Serienstraftäter, der Anlass für eine lang anhalten-
de öffentliche Debatte um Jugend- und Ausländerkriminalität 1  in Deutschland ab 1998 war.
Die Eskalation der Gewalt von drei 16-jährigen Schweizer Schülern in München im Sommer
2010 schuf durch ihre Verurteilung in Deutschland eine Laborsituation zum unterschiedlichen
Stellenwert von Strafe und Hilfe in beiden Ländern. Das unterschiedliche Herangehen in Fällen
der Jugendkriminalität und die dahinter stehenden Einstellung zu diesen jungen Menschen geben
Anlass zum tieferen Nachdenken über das, was jungen Menschen nützen kann. Und was damit
am besten auch der Gesellschaft nützt.
Die Kriminalität von Personen, die sich noch in der Entwicklung befinden, ist in zweifacher
Hinsicht für die Gesellschaft bedeutend: Da insbesondere Jugendliche dem Einfluss der Umwelt
sehr stark ausgesetzt sind, lässt die Jugendkriminalität immer Rückschlüsse auf jene Einflüsse zu,
die auf den Jugendlichen einwirken.
Jugendkriminalität übt einen besonderen Druck auf die Gesellschaft aus, sich mit dem The-
ma zu befassen. Durch den Umgang einer Gesellschaft mit der Kriminalität der Jugend wird
ihre  gesamte  Leistungsfähigkeit  auf  die  Probe  gestellt.  Einen  wichtigen  Schritt  hierbei  bildet
das kooperative Zusammenwirken. Sollen beispielsweise Jugendhilfe und Jugendgerichtsbarkeit
entsprechend tätig werden, müssen wichtige Voraussetzungen erfüllt sein:
1.  Erforderlich ist die flächendeckende Ausstattung mit fachlich qualifizierten Angeboten der
Jugendhilfe.
2.  Erforderlich sind Engagement und Bereitschaft aller Mitwirkenden, sich der jungen Men-
schen anzunehmen, sich intensiv mit ihren Belastungen zu befassen und nach positiven An-
knüpfungspunkten zu suchen.
3.  Erforderlich sind ausreichende Ressourcen, insbesondere hinsichtlich personeller Ausstattung
und fachlicher Qualifizierung. 2
„Jugendhilfe und Jugendgerichtsbarkeit agieren in Jugendgerichtsverfahren als voneinander
unabhängige, fachlich eigenständige Institutionen. Sie sind auf eine vertrauensvolle, verlässliche
und kontinuierliche Kooperation angewiesen, die höchste Professionalität verlangt.“ 3  Der DBSH
will mit seinem Projekt einen Beitrag dazu leisten und hat sich diesem Thema in einem mehrjäh-
rigen Prozess zugewandt.
Die Projektgruppe Jugendhilfe und Jugendstrafrecht des Fachbereiches Kinder- und Jugend-
hilfe des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) arbeitet seit dem Jahr 2007
am Thema „Zusammenarbeit mit Vertretungen aus Einrichtungen der Jugendhilfe und der Justiz
in Deutschland und der Schweiz“.
Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei den Mitwirkenden der Arbeitsgruppen bedanken.
Stellvertretend möchte ich die engagierte Arbeit meiner Vorstandskollegin Heidi Bauer-Felbel er-
wähnen. Unsere Kooperationspartner in der Schweiz waren die Kantonale BEObachtungsstation
der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kanton Bern sowie die Fédération Internatio-
nale des Communautés Educatives – FICE Schweiz –, vertreten durch Roland Stübi.
Neue Herausforderungen ergaben sich für beide Länder mit der etwa zeitgleichen Einführung
neuer Jugendstrafrechtsregelungen. Dies brachte zusätzlich etwa vergleichbare Ausgangssituati-
onen für das Projekt mit sich. Seit Jahrzehnten ist es die originäre Aufgabe der Jugendhilfe, ihre
Leistungen  und Angebote  so  auszugestalten,  dass  junge  Menschen  in  ihrer  individuellen  und
sozialen Entwicklung gefördert werden. Dies ist gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII eine der Kern-
aufgaben und auch eine Kernkompetenz der Jugendhilfe.
In beiden Bereichen gab es Reformen und Gesetzesnovellierungen. Das Gesetz über das Ju-
gendstrafverfahren (JStVG) ist u. a. neu in die Zuständigkeit der Länder übergegangen.
Dieses kompakte System, dem sich die Jugendlichen gegenüber sehen, machen es unver-
zichtbar, ein Zusammenwirken zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Strafvollzug und Polizei,
Sozialämtern,  Jugendämtern,  Ordnungsämtern, Ausländerämtern,  freien Wohlfahrtsverbänden,
Rechtsanwälten, Gläubigern, Vermietern sowie Angehörigen des Probanden und oft noch vieler
anderer zu gewährleisten. Die auf diese Weise zu leistenden Hilfen haben für die Resozialisierung
der jungen Menschen die allergrößte Bedeutung.
Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es hier den jungen Menschen Hilfestellung zur Lebensbewäl-
tigung zu geben und sie nach Möglichkeit vor neuer Straffälligkeit zu bewahren – nicht jedoch
vordergründig Macht zu demonstrieren.
Diesem Buch ist deshalb ein mehrjähriger Prozess der intensiven, fachlichen und fachpo-
litischen Auseinandersetzung  vorausgegangen.  Dazu  wurden  sowohl  praktische  als  auch  wis-
senschaftliche Fragestellungen unterschiedlicher Professionen in Deutschland und der Schweiz
beleuchtet. Dieses Buch soll keine wissenschaftliche Abhandlung sein, sondern eine Gegenüber-
stellung von Entwicklungen und Problemlagen sowie möglichen Lösungswegen aus der Praxis
der Arbeit mit Jugendlichen Straftätern.
Insbesondere unter den Bedingungen einer sich wandelnden neoliberalen Gesellschaft ist ein
Augenmerk auf die Behandlung und den Umgang mit jungen Menschen insgesamt zu richten. Der
Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) warnt in seiner „Saarbrücker Erklärung“ 4  an-
gesichts der fortgesetzten Kürzungen bei sozialen Leistungen und Diensten vor einer wachsenden
Spaltung der Gesellschaft. Stattdessen fordert der Verband von der Politik ein wirkliches „Ar-
mutsbekämpfungskonzept“ und eine solidarische Beteiligung der Bezieher von höheren Einkom-
men und von Unternehmen an den Sozialkosten. Um dies durchzusetzen, müsse die Soziale Ar-
beit politischer werden. Leitziel professioneller Sozialarbeit ist es, dass Menschen, insbesondere
Benachteiligte, Gruppen, Gemeinwesen und Organisationen ihr Leben und Zusammenleben im
Sinne des Grundgesetzes und der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen zunehmend
mehr selbst bestimmen und in solidarischen Beziehungen bewältigen können. Ziel des professio-
nellen Handelns ist die Vermeidung, Aufdeckung und Bewältigung sozialer Probleme auch durch
präventive Maßnahmen.
Dies  gilt  auch  und  insbesondere  für  die Arbeit  mit  jugendlichen  Straftätern.  Für  das  pro-
fessionelle Handeln von Sozialarbeiter/innen geben die in den „Berufsethischen Prinzipien des
DBSH“ des “Code of Ethics”“ des IFSW eine entsprechende Orientierung. 5  Sozialarbeit muss
im Besonderen auf die Wahrung und den Schutz des Lebens, auf die Würde des Menschen, die
Selbstbestimmung der Einzelnen und die solidarische Unterstützung durch Gemeinschaften ach-
ten. Sie hat eine Werteorientierung, die auf die positive Veränderbarkeit politischer, sozialer und
individueller Verhältnisse vertraut. Dabei vertraut sie auch in die Kraft und den Willen von Men-
schen, belastende Lebensverhältnisse bei geeigneter Unterstützung selbst zu verändern. Dieses
Buch soll durch die Darstellung der Bündelung der Gemeinsamkeiten professioneller Sozialer
Arbeit in dem entstandenen Denk- und Arbeitsmodell ein weiterer Schritt bei der Umsetzung
einer „Strategischen Sozialarbeit“ 6  sein.

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