Statement Norbert Struck

Strafe ist nicht in jedem Fall und jeder Situation eine angemessene Reaktion














Norbert Struck
Vorsitzender der AGJ bis Mai 2012

Das Thema Strafjustiz ist in den Debatten der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe
– AGJ in den letzten Jahren nur selten bearbeitet worden. Sucht man auf der Webseite www.agj.
de nach dem Stichwort „straffällig“, so erhält man nur einen Treffer. Und dieser Treffer verweist
bezeichnenderweise auf einen internationalen Diskurszusammenhang: den der Internationalen
Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen – IAGJ, in der VertreterInnen aus der Schweiz, aus Öster-
reich, den Niederlanden und eben die AGJ zusammenarbeiten. Beim Treffen 2000 in Luzern war
das Thema: „Straffälligkeit von Kindern und Jugendlichen als Herausforderung für Jugendstraf-
rechtspflege und Jugendhilfe“ (s. AGJ (Hg) (2007). Kinder- und Jugendhilfe im Ländervergleich,
Berlin: S. 113ff).
In  der Abschlusserklärung  dieser Veranstaltung  sind  einige  Positionen  festgehalten,  deren
Gültigkeit den Zeitlauf überdauert hat:
Die öffentliche Diskussion um Jugendkriminalität muss versachlicht werden.  –
Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalitätsprävention.  –
Eine „Jugendsünde“ ist nur selten der Beginn eine kriminellen Karriere.  –
Strafe ist nicht in jedem Fall und jeder Situation eine angemessene Reaktion.  –
Die UN-Kinderrechtskonvention und andere internationale Abkommen stellen auch für die   –
Strafrechtspflege das Recht des jungen Menschen auf Entwicklung und Entfaltung in den
Vordergrund.
Auch für junge Volljährige (Heranwachsende) sollen Hilfe und pädagogisch geeignete Reak-  –
tionsformen im Vordergrund stehen.
Für effektive soziale Lösungen ist das Umfeld, insbesondere die Familie, wichtig.  –
Verantwortliche Institutionen müssen stärker auf Kontinuität der handelnden Personen sowie   –
auf abgestimmte Konzepte achten.
Forschung und fachliche Berichterstattung zu Fragen delinquenten Verhaltens junger Men-  –
schen müssen verstärkt werden.
Konzepte für den Umgang mit delinquentem Verhalten müssen verstärkt im lebensweltlichen   –
Kontext junger Menschen entwickelt werden.
Der fachliche Dialog zwischen den beteiligten Disziplinen muss wesentlich verstärkt wer-  –
den.
Die Möglichkeiten des internationalen Erfahrungsaustauschs sollten besser genutzt werden.  –
Ich  glaube,  zu  all  diesen  Punkten  kann  man  einen  Konsens  bei  den AGJ-Mitgliedern  an-
nehmen. In der Praxis gibt es gewiss auch eine Reihe guter Kooperationsprojekte zwischen Ju-
gendhilfe und Strafjustiz. Insbesondere bei Projekten, die sich speziell auf jugendliche Straftäter
beziehen, ist die Zusammenarbeit oft gut und intensiv.
Wo aber liegen Dissenspunkte, Problempunkte?
Ich glaube, dass diese auf Seiten der Kinder- und Jugendhilfe zum einen in Betreuungsab-
brüchen bei Jugendlichen im Strafvollzug liegen, dann in der oft nicht hinreichend präzisen Be-
fassung mit straffällig gewordenen Jugendlichen von Seiten überbelasteter Jugendämter – egal,
ob man sich dann für Nicht-Intervention oder eine Intervention entscheidet, man muss sich ein
Bild vom Jugendlichen und seiner Situation verschaffen und auf dieser Grundlage seine Entschei-
dungen begründen.
Auf Seiten der Strafjustiz gibt es ebenfalls eine große Variationsbreite selbst in der Durch-
führung des Jugendstrafvollzugs. Die sozialpädagogische Kompetenz bei der Durchführung des
Jugendstrafvollzugs ist zumeist viel zu dürftig ausgestaltet.
Zwischen den Systemen gibt es in den letzten Jahren insbesondere zwei Streitpunkte. Beide
sind emotional heftig aufgeladen.
Der eine ist die Frage: Wer bezahlt ambulante Hilfen? Mit § 36a Abs. 1 SGB VIII hat die
Jugendhilfe eine klare Position: Sie zahlt nur, wenn eine Hilfe nach ihren Maßstäben notwendig
und geeignet ist. Wird eine Entscheidung eines Jugendrichters fachlich so nicht empfohlen oder
nachvollzogen, muss die Justiz die Kosten tragen.
Der andere ist die Frage nach „geschlossener Unterbringung“ im Rahmen der Jugendhilfe.
Aus dem Justizsystem kommen hier immer wieder Anforderungen, die Jugendhilfe müsse ihre
Kontingente für freiheitsentziehende Maßnahmen ausbauen. Auf Seiten der Kinder- und Jugend-
hilfe gibt es Gegner und Befürworter – auch unter den Mitgliedern der AGJ. Ich selbst spreche
mich klar gegen geschlossene Einrichtungen in der Jugendhilfe aus – und ich denke dass die
Erfahrungen des Runden Tisches Heimerziehung im Hinblick auf diese Frage noch nicht voll zur
Kenntnis genommen worden sind.
Ich bin gespannt auf die hier vorgelegten Erfahrungen und Argumente und freue mich, dass
auch sie im grenzüberschreitenden Austausch gewonnen worden sind.

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